Samstag, 9. Februar 2019

TriMag 0007


Die Weite der Prärie.
Owen Wisters Roman "The Virginian"

The Virginian (englische Ausg. 1998)
"Medicine Bow bestand aus neunundzwanzig Häusern, einem Kohlenhaufen, einem Wassertank, dem Stationsgebäude, einem Store, zwei Speisehäusern, einem Billardsaal, zwei Werkstätten und einem Mietstall. Manche Häuser hatten eine falsche Fassade, um den Eindruck zu erwecken, sie wären zwei Stockwerke hoch. Da standen sie nun mit ihrer bemitleidenswerten Fassade von einem Saum leerer Konservendosen umgeben, während dicht vor ihren Türen eine Welt von kristallklarem Licht begann, ein Land ohne Ende. In diese grenzenlose Weite hinein lief einsam eine Straße - Über einen Hügel und hinab außer Sicht - und in der Ferne erneut einen Hang hinauf und hinunter in ein Tal - immer wieder hinauf und hinab bis in unermeßlichen Fernen." (WISTER, Owen: Der Virginier. München 1956, S. 12 f.)

Owen Wister (1860-1938) umriß 1902 - vor heute einhundert Jahren - in seinem berühmten Roman Der Virginier (Originaltitel: The Virginian. A Horseman of the Plains) mit diesen Worten den Raum, in dem hinfort die meisten Western spielen sollten. Eine kleine unscheinbare Ansiedlung kontrastiert mit der Weite des Westens, einer Weite, die sich den in Europa vertrauten Dimensionen entzieht. In dieser Weite verstreut liegen die Arbeitsplätze der Cowboys - der Archetypen einer Vielzahl von Western. Die kleine Ansiedlung bildet einen Anlaufpunkt; hier kommen Menschen an, hier treffen sie sich, hier trennen sich ihre Schicksale aber auch wieder. Ein Billardsaal dient der Zerstreuung, im Store ist fast alles Lebensnotwendige zu kaufen und die Eisenbahn schafft die Verbindung zu anderen Orten.

Der Virginier (deutsche Übersetzung 1970
Das Erscheinen von Wisters Roman und auch die Veröffentlichung von Andy Adams The Log of a Cowboy (dt. Übersetzung: Das große Treiben) nur ein Jahr später, führte im zwanzigsten Jahrhundert zur Publikation einer Vielzahl von Westernromanen unterschiedlichster Art. Mit Wisters und Adams Büchern verloren die Geschichten aus dem Wilden Westen einiges von ihrer Märchenhaftigkeit. Die "neuen" Western seit dieser Zeit bemühten sich - im Gegensatz zu den früheren Dime Novels - um Authentizität. Realistische Schilderungen rückten mit in den Vordergrund, wenn auch Romantik und Abenteuer nach wie vor sehr wichtig blieben.
Die deutschen Leser mußten allerdings bis 1955 warten, ehe sie Wisters Klassiker in einer Übersetzung lesen konnten. In diesem Jahr erschien innerhalb der Reihe Lockender Westen des Münchener Awa-Verlages die erste deutsche Ausgabe des Romans zum Verkaufspreis von 10,80 DM. Die Fachzeitschriften für den Leihbuchhandel waren sich der Bedeutung des Buches - wohl nicht zuletzt auch aufgrund der rührigen Verlagswerbung - bewußt, und gingen in ausführlichen Besprechungen auf das Werk ein.

Die in Wiesbaden erscheinende Zeitschrift Der Leihbuchhändler schrieb 1955: "Eine fremde Welt zauberhafter Romantik erschließt sich dem Leser dieses Romans - eine Welt des lockenden Abenteuers, erfüllt von dem Atem einer noch kaum berührten Natur, wo der Mensch frei von den Fesseln einer überzüchteten Zivilisation und ungebändigt von der starren Ordnung ausgeklügelter Rechtsverhältnisse sein Leben noch ganz aus der Entscheidung seines Gewissens gestaltet und aus eigener Kraft allen Widrigkeiten der Natur trotzen muß: die Welt der Pioniere und Siedler in dem damals noch unerschlossenen Amerika. Noch kurz vor der Jahrhundertwende war die Gestaltung eines solchen Romanthemas selbst in Amerika ein Wagnis; die literarische Welt betrachtete den Westen der Pioniere und Cowboys als ein Land primitiver Hinterwäldler oder Glücksritter, die nicht als literaturfähig galten. Erst der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt, der im Westen selbst Rancher gewesen war, öffnete mit seinem Werk "The Winning of the West" der Öffentlichkeit die Augen über diese Welt, aus der die lebendigen Kraftquellen einer ganzen Nation strömten. Als dann im Jahre 1902 der Roman seines Freundes Owen Wister erschien, fand er ein überraschend aufnahmebereites und aufgeschlossenes Publikum; sechs Jahre lang gehörte das Buch ununterbrochen zu den meistverkauften Büchern des Landes, was vorher nur selten einem anderen Roman gelungen war. Trotz der seitdem vergangenen Zeit und ungeachtet der vielen blassen Nachahmungen hat sich der Roman bis heute seinen Platz als ein literarischer Meilenstein (Literary History of the United States) mit seinem ursprünglichen Reiz und seiner Frische bewahrt; die fast versunkene Welt des Cowboys blüht unter der Feder eines zeitgenössischen Augenzeugen zu neuem Leben auf und fasziniert den Leser im Zeitalter der Technik immer wieder durch den Abglanz einer dramatisch bewegten Zeit der Vergangenheit. Durch Owen Wisters "klassische Geschichte aus dem Cowboyleben" (The cambridge History of American Literature) tritt der schlichte Cowboy des Westens dem Indianer Coopers, dem Goldsucher Bret Hartes und dem Mississippi-Flußschiffer Mark Twains würdig an die Seite." (S. 63)

In Die Leihbücherei fand sich ein ähnliches Lob und eine warme Empfehlung für den Roman:

The Virginien (1946) - (Videocover
The Virginian (1930) - Plakat
In farbigen abenteuerlichen Szenen ersteht vor uns die zauberhafte Romantik des amerikanischen Westens, die uns in fesselnder und zugleich bildender Sprache das große Zeitgemälde von Owen Wister, "Der Virginier" erschließt. Die Frische und Unbekümmertheit mit der uns hier eines der erregendsten Kapitel der amerikanischen Geschichte - die Erschließung des "Wilden Westens" geschildert wird, gehört zu dem Schönsten, was über diese Zeit jemals geschrieben wurde. So ist es auch zu verstehen, daß das Buch viele Jahre zu den meistverkauften Büchern Amerikas zählte - es wird sich auch bei uns einen großen Leserkreis erobern. - Der Held des Romans ist ein schlichter Cowboy auf einer Ranch in Wyoming, aber aus der spannenden Geschichte seines Aufstiegs und seiner Liebe zu einem Mädchen aus den Städten des Ostens erwächst ein faszinierendes Bild von jenem Menschentyp, der bei der friedlichen Erschließung des mächtigen Kontinents eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Das harte entbehrungsreiche Leben dieses Mannes in der unendlichen Weite der Prärien und der grandiosen Bergwelt von Wyoming, die schlichte Würde seiner inneren Haltung, sein klares Gefühl für Wert und Unwert menschlicher Handlungen, seine innige Naturverbundenheit, in der sein ungetrübtes Urteil über Menschen und Geschehnisse wurzelt und sein köstlicher Humor gibt diesem Mann sein Gepräge. Ja, aus diesem Holz waren jene Männer geschnitzt, die dazu berufen waren, sich einen Kontinent zu unterwerfen, ihn zu kultivieren und den Boden zu ebnen, für die nachfolgenden Siedler, denen dieser Teil Amerikas seine Stärke und seinen Reichtum verdankt. Guten Gewissens empfehlen wir jeder Bücherei dieses schöne 'AWA'-Buch und wünschen ihm weiteste Verbreitung."(Nr. 12, S. 14)

Ein Jahr später legte der AWA-Verlag den Roman erneut als Band 15 seiner Taschenbuchreihe Welt der Abenteuer auf, in der vorwiegend Westernromane erschienen, die zuvor innerhalb der Leihbuchreihe Lockender Westen veröffentlicht worden waren. Der Virginier erschien in den folgenden Jahren noch einige Male in deutscher Sprache, zuletzt als Heyne-Western-Taschenbuch 2222 im Jahr 1970.

The Virginian (1946) - Lobbycard
Die wichtigste Filmversion von The Virginian (dt. Verleihtitel: Der Virginier), ein früher Tonfilm, wurde 1929 von der Paramount gedreht. Regisseur war Victor Fleming, der zehn Jahre später Vom Winde verweht drehen sollte. Als sein Assistent arbeitete der junge Henry Hathaway. Hauptdarsteller des Filmes waren Gary Cooper als Virginian sowie Walter Huston, Mary Brian und Richard Arlen. Im Remake von 1946 (The Virginian; deutscher Verleihtitel: Der Mann aus Virginia) spielten Joel McCrea, Brian Donlevy, Sonny Tufts, Barbara Britton, Fay Bainter, Tom Tully und William Frawley die Hauptrollen unter der Regie von Stuart Gilmore.

The Virginian (2000)
Wo liegt nun die Bedeutung des Romanes von Owen Wister? Er beschwört den Mythos des Cowboys, der mit seiner Ritterlichkeit und seinem Verhalten, das einem imaginären "Code of the West" entspricht, einen amerikanischen Idealtypus verkörpert, der nicht zuletzt in der Entstehungszeit des Buches auch durch die vom damaligen amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt - einem Klassenkameraden Wisters - propagierten Ideen mitgeprägt wurde. Das Buch erlebte in den Vereinigten Staaten riesige Auflagen und wurde zum ersten großen Bestseller des Westerns und zugleich auch zu einem Vorbild für zahlreiche spätere Westernautoren. Obwohl einige moderne Kritiker mit The Virginian wenig freundlich umgegangen sind, bleibt der Roman Wisters doch einer der großen Klassiker des Westerns und es ist schade, daß das Werk im deutschen Sprachraum nur noch in antiquarischen Ausgaben greifbar ist.

James Drury als "The Virginian"
in der TV-Serie.
In den Vereinigten Staaten wurde das Buch mehrfach verfilmt und bildete die Vorlage für eine bekannte Westernfernsehserie, die auch in Deutschland gezeigt wurde.

Zuvor waren schon zwei Stummfilmversionen nach der Romanvorlage gedreht worden: 1914 von Cecil B. De Mille und eine weitere Fassung im Jahre 1923. Die bislang jüngste Verfilmung des Stoffes wurde 2000 von Bill Pullman für den Fernsehsender TNT gedreht. Pullman übernahnm auch die Hauptrolle; neben ihm spielten Diane Lane, John Savage und Dennis Weaver.

Bekannter als diese Filmversionen wurde zumindest in Deutschland die Fernsehwesternserie The Virginian, die die Zuschauer unter dem Titel Die Leute von der Shiloh Ranch ab 1970 im ZDF sehen konnten. Insgesamt liefen bis 1973 149 Folgen, die später in anderen Programmen wiederholt wurden. In den Vereinigten Staaten gab es zwischen 1962 und 1971 mehr als 200 Folgen der Serie, die ab 1970 unter dem Titel The Men from Shiloh gezeigt wurden. Die Hauptrollen in der Fernsehserie spielten James Drury als Virginian und Doug McClure als Trampas.


(Der Beitrag wurde ursprünglich 1995 veröffentlicht. Für die WEB-Fassung 2002 wurde er behutsam aktualisiert; zudem wurden Abbildungen hinzugefügt. Eine weitere Aktualisierung für die Veröffentlichung im TRIVIALITAS MAGAZINES fand nicht statt. {9.2.2019})
Karl Jürgen Roth

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